ANACONDA – VERLAG / J.J. REITHARD
(Schweizer Sagen und Geschichten)
Hei Vater, Vater! Höre doch,
wie’s toset und krachet im Enziloch,
als stürzten Stämme und Blöcke schwer!
- Mein Knabe, sie bringen einen her!
Sie bringen einen? Und: wen denn, wen?
Mein Vater, ich kann dich nicht versteh’n.
Wer ist der eine? Erzähl‘ mir’s geschwind!
- Ein neuer Talherr, mein gutes Kind.
S’ist irgend ein arger Bösewicht.
Doch was er verschuldet? Ich weiss es nicht.
Nur eines weiss ich: dass in der Welt
Er mächtig gewesen – und hochgestellt.
Ein Zwingherr vielleicht, der ungerecht
Im Leben gedrückt den armen Knecht.
Ein Schirmvogt, welcher – arggesinnt –
Die Witwe betrog; das Waisenkind.
Ein Strolch, der aus dem Paradies
Des Überflusses den Armen stiess.
Ein Richter, der um schändlich Geld
In Gunst oder Hass den Spruch gefällt.
Ein Geizhals, der des Blutes Rest
Den Händen fleissiger Pflüger entpresst.
Ein Pfaff, der predigend Gottes Wort,
in Wollust lebte und Seelenmord.
Traun’n, irgend ein grosser Sünder ist’s,
der Gottes vergass und Jesu Christs.
Und eichene Stämme nun zur Buss‘
Auf jenen Grat dort wälzen muss.
Und hat er beinah erreicht die Höh‘
Dann ist’s, als ob ihm die Eich‘ entflöh‘.
Und passt er noch so sorglich auf –
Sie wälzt sich zurück in polterndem Lauf.
So rollen die Stämme tossend zu Tal.
Die Talherren versuchen’s nun abermal.
Versuchen zum Dritten; zum vierten ihr Glück.
Doch immer rollen die Stämme zurück.
Sie hasten und jasten. Sie pusten und glüh‘n,
bis ihnen knisternde Funken entsprüh’n.
Dann stampfen sie grimmig, bis ihrem Gestampf
Talnebel entsteigen und Wetterdampf.
Das ist der Talherr’n schrecklich Gericht
Sie finden die Ruhe des Grabes nicht.
Und büssen durch ein unendlich Leid
Die kurze irdische Herrlichkeit.