( Comenius-Verlag : Sagenhaftes Hinterland / Band N° II / J.J. Reithard : Talherren im Enziloch )
(Sämtliche Personen und Handlungen halten einer historischen Überprüfung eher nicht Stand. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder ähnliche Situationen aus jüngerer Vergangenheit sind rein zufällig ! )
S’ist irgend ein arger Bösewicht.
Doch was er verschuldet? Ich weiss es nicht.
Nur eines weis ich: dass in der Welt
Er mächtig gewesen – und hochgestellt.
In jener Zeit lebte ein weitbekannter Metzgermeister namens Willhelm Oscar Marti in der Stadt Willisau. Als erster seiner Zeit nannte er sich Fleischfachmann. Er war Pionier in vielerlei Hinsicht. Als erster hatte er einen Verkaufsladen (was es vorher noch nie gab). Als einziger hatte er einige Ökonomie-Gebäude, welche legendär waren. So hatte er, wohlwissend etwas ausserhalb der Stadt, einen Schlachthof errichtet. Im Tällenbach befand sich eine Mühle, wo er allerlei sonderbare Geräte eingebaut hatte, und , nebenbei einen Gewölbekeller, in welchem er Eis lagerte. So was hatte die Welt bis dahin noch nicht gesehen.
Beleuchten wir nun vorerst den Werdegang von Willhelm Oscar Marti.
Man kannte bis dahin sehr wohl die Reisetätigkeit von Handwerksgesellen, Zimmermannen, Steinmetze, Bauleuten eben. Revolutionär war, dass sich Willhelm Oscar Marti von diesem Tun begeistern liess.
So wanderte er von Betrieb zu Betrieb; zunächst nordwärts. Vom Badischen ging‘s später hinüber ins Elsässische und nach Lothringen. Danach ostwärts nach Thüringen und Bayern. Danach südwärts ins Tirol und nach Kärnten.
Nach seiner Wanderung quer durch die Schweiz (St. Gallen, Zürich, Luzern) fand er schliesslich im Grafenstädtchen Willisau die optimalen Bedingungen; nämlich eine sehr wohlhabende Frau. Das war Voraussetzung, um seine Pläne in die Tat umzusetzen.
Als Willhelm Oscar Marti in Willisau eintraf, betrat er ein offenes Feld. Da war noch nichts Brauchbares. Also musste zunächst ein Schlachthof eingerichtet werden. Doch um Schlachten zu können, braucht es zunächst Tiere, welche geschlachtet werden können. Das war zu jener Zeit nicht üblich. Vielmehr wurden die Tiere auf dem Bauernhof geschlachtet. Der Bauer versorgte dann die ihm gefälligen Leute mit Fleisch. So war es der Brauch.
Oscar Willhelm Marti besuchte jeweils am Sonntag die Heilige Messe in der Früh. Danach war er in den Wirtshäusern anzutreffen, wo er den Bauersleuten seine Ideen kundtat.
Am Nachmittag ging er dann mit Frau und Kind „über Feld“. Jeder Sonntag im Kalender war genau geplant. Stets dabei: „de Gäudsecku im Bomper“ .
Er wusste genau, bei welchem Hof er Rast machen musste.
„Bares ist Wahres“ war sein Leitspruch. Und so erstand er beim sonntäglichen Spaziergang ausreichend Tiere – Arbeitsvorrat für die Woche. Da ein Pferd, dort ein Schwein, Ziegen, Lämmer; auch mal ein Kalb.
Wobei er immer sofort bezahlte. Wenn die Bauern Geld sahen, wurden sie weich. Das wusste Willhelm Oscar Marti ganz genau. So konnte er seine Schlachttiere immer zu einem Preis erwerben, welcher für ihn sehr Vorteilhaft war.
In seinem Schlachthof herrschte akribische Ordnung. Damals wusste man von Hygiene noch nicht viel. Aber bei ihm stand da immer ein Bottich mit kochend-heissem Wasser. Dort wurden die Geräte feinsäuberlich gereinigt.
Streng nach seinem Kommando !
Die geschlachteten Tiere wurden in die Einzelteile zerlegt. Das gute Fleisch wurde später im Verkaufslokal inmitten der Stadt verkauft. Die beste Stücke aber - und das war Teil des Erfolges – verkaufte die Frau des Metzgermeisters an die Wohlhabenden, die Reichen, die Edelleute …
Da wurde richtig Geld verdient.
Fleischermeister Willhelm Oscar Marti brachte die Wurst ins Hinterland.
In seiner Manufaktur im Tällenbach waren zahlreiche Geräte, die nach seinen Plänen eigens erstellt werden mussten.
Da fand sich zum einen eine Knochenstampfe. Alle anfallenden Knochen wurden klein gehackt und danach weiter verwertet.
Ein ganz ausgefallenes Gerät war ein grosses Mühlrad, an welchem messerscharfe Klingen angebracht wurden. Dank dem grossen Schwungrad und den scharfen Klingen war das sein über alles geliebter „Blitzhacker“.
Um eine gute Wurst herzustellen, das wusste Willhelm Oscar Marti, braucht es auch ausreichend Eis. Dieses wurde im Winter im Ostergau gebrochen und in grosse Quader geschnitten. Damit das ganze Jahr ausreichend Eis zur Verfügung stand, wurde das Eis in einem gigantischen Gewölbekeller gelagert.
Nach und nach konnte Fleischermeister Willhelm Oscar Marti seinen Besitz erweitern. Bald erwarb er Hof um Hof. Er stieg selber in die Produktion der Masttiere ein. Vor allem in der Schweinezucht feierte er grosse Erfolge.
Die Bauern ernährten ihre Schweine zu damaliger Zeit mit „guete Gras ond Wasser“. Das Ergebnis waren dünne, ausgemergelte Viehcher, welche kaum Fleisch an den Knochen hatten.
Fleischermeister Willhelm Oscar Marti hatte auf seinen Lehr- und Wanderjahren gar so manches gesehen. So hatte er gelernt, dass man die Schlachtabfälle nicht einfach auf den Müll werfen soll. Er war der erste, welcher eine Art Suppe aufbereitete, um diese später den Schweinen zu verfüttern.
Dabei entstand aber ein pestilenzartiger Geruch. Der Gestank war derart übel, dass bei den Leuten ein Brechreiz ausgelöst wurde. Zum Kotzen!
Das schien den Fleischermeister aber nicht zu kümmern. Seine Lösung des Problems bestand darin, dass er die Suppe nach Mitternacht bis spätestens Sonnenaufgang kochen liess. Aus den Augen – aus dem Sinn …
So – genug der Lobhudelei ! Bis dahin haben wir nur die hervorragenden Leistungen von Metzgermeister Willhelm Oscar Marti beleuchtet.
Es kann eine Stadt, die auf dem Hügel liegt, nicht im Verborgenen bleiben. Der Schein seiner Lampe leuchtete weit hinaus ins Dunkel …
Bald fanden sich Meuchelmörder, gedungene Gestalten aller Art, zwielichtiges Volk jedwelcher Couleur bei Metzgermeister Willhelm Oscar Marti. Denen ging es nicht um die Entsorgung von Schlachtabfällen. Vielmehr hatten sie menschliche Leichen im Gepäck. Widersacher, die aus dem Weg geräumt werden mussten. Weiber, welche allzu sehr aufbegehrt hatten. Schwiegermütter, die lästig wurden. Kinder, welche nicht hätten geboren werden sollen …
Die Rechtsprechung damals war einfach: keine Leiche = kein Verbrechen. Also konnte man die sterblichen Überreste bei Metzgermeister Willhelm Oscar Marti entsorgen. Diese „Dienstleistung“ hatte allerdings einen happigen Preis. Wer die geforderte Summe, meist ein unerhörter Betrag, nicht zahlen wollte, konnte die Schuld begleichen, indem er „Aufträge“ für Fleischermeister Willhelm Oscar Marti erledigte. Er selber führte nämlich eine Liste von Leuten, welche eliminiert werden mussten. Da waren vor allem lästige Anwohner, welche sich über den Gestank ärgerten. Dann natürlich Bauern, welche ihren Betrieb nicht verkaufen wollten. Politiker, welche sich seinem Diktat nicht beugen wollten. Immer dreister wurden seine „Aufträge“.
Getrieben von der Gier, sein Eigentum zu mehren, seinen Machthunger zu stillen, seinen Einfluss geltend zu machen stieg er alsdann selber in die Politik ein. Bald sah man ihn im Stadtrat, wo er die wichtigsten Ämter an sich zu reissen wusste. Er war nun ein „honoriger“ Bürger; mit Allmacht. Gefürchtet, gehasst, verdammt. Doch ihm zu widersprechen wagte niemand.
Metzgermeister Willhelm Oscar Marti erreichte ein fürstliches Alter. Wohlgenährt und in seinem prächtigen Haus, in welchem er niemals frieren musste (was damals keinesfalls selbstverständlich war!) lebte er noch sehr lange – und sehr unglücklich ! Die Altersbeschwerden liessen nicht auf sich warten. Sein Augenlicht versagte mehr und mehr seinen Dienst. Bald war er nahezu blind. Gicht und Arthrose verkrümmten Körper und Gliedmassen.
Furchtbare Schmerzen musste er erleiden. Ja – er wünschte sich den Tod. Dieser sollte ihn aber noch lange nicht erlösen.
Sein Geist fand jedoch keine Ruhe. Es waren vor allem die Bauern, welche sich Sorgen machten. Immer wieder berichteten sie, dass eine gekrümmte Gestalt ihre Stallungen aufsuchte. Dabei hörte man ein Geräusch, wie wenn man die Münzen im „Gäudsecku „ durchwühlt. Genau so hatte zu Lebzeiten Metzgermeister Willhelm Oscar Marti mit seinem Geld geprahlt.
Als endlich der Guardian den Geist einfangen konnte, verspührten die Bauersleute eine grosse Erleichterung. Die Gestalt, welche zeitlebens und später auch im Tod Furcht und Schrecken verbreitet hatte, ging nicht mehr um. Endlich zog Frieden und Ruhe ein.