Waisenvogt Schwegler 

 

 

Ein Zwingherr vielleicht, der ungerecht

Im Leben gedrückt den armen Knecht.

Ein Schirmvogt, welcher – arggesinnt –

Die Witwe betrog; das Waisenkind.

 

 

 

 

„De  Lieb-Gott het verschedeni Choschtgänger“

 

So sagt der Hinertländer – und meint, dass auf dieser Erde aller Gattung Menschen leben. Kleine und grosse, dünne und dicke, reiche und arme. Aber vor allem : gutartige und bösartige !

 

Sofern man sich mit Verbrechen oder Kriminalistik auseinandersetzt, hört man von Experten des öfteren, dass die Finanzjongleure eine ganz spezielle Gattung seien. Prädikate wie fürsorglich, mitteilsam, gesellig, freundlich werden gebraucht. Allesamt überraschend positiv.

 

Doch diese Delinquenten treiben ein doppeltes Spiel. Nach aussen hin gibt es eine perfekte Fassade. Oft bekleiden die Herrschaften ( in der Regel sind es Männer …) Amt und Würden. Von der Gesellschaft werden sie geehrt und geachtet.

 

In Tat und Wahrheit verstehen sie es aber, mit den anvertrauten Geldern umzugehen. Und zwar so gut, dass ein Teil davon in ihren eigenen Taschen landet. Unterschlagung, Veruntreuung, Urkundenfälschung, Betrug usw. usf. ; der Gesetzgeber kennt verschiedene Ausdrücke für diese Verbrechen.

 

Also hat es sich zugetragen, dass in Grosswangen der hochangesehene Schwegler Josef lebte. Er stammte aus wohlhabendem Hause. Bereits seine Vorfahren hatten sich ein stattliches Vermögen angelegt. Ned wohr – ned …

 

Schwegler hatte Geld. In dieser Zeit kam das sehr selten vor. Gar manche Gült nannte er sein Eigen. Er besass viele Wertpapier, Pfandleihbriefe aller Art, Guthaben in jedwelcher Form. So kam es, dass zahlreiche Menschen im gesamten Hinterland Schulden bei ihm hatten. Ned wohr – ned …

 

Schwegler war Pfrundverwalter und Waisenvogt. Daneben bekleidete er etliche Ämter. Immer war es so angelegt, dass ihm die Verwaltung der Gelder anvertraut wurde. Ned wohr – ned …

 

Schwegler indes verstand es fürtrefflich, die Gelder hin- und her zu bewegen. Da und dort versickerte ein kleiner Betrag. Manchmal gelang ihm ein grosser Wurf. Tag und Nacht dachte er darüber nach, wie er sein Vermögen vermehren konnte. Dabei war er äusserst einfallsreich. Wobei er es keinesfalls eilig hatte. Oft nahmen seine Pläne und Absichten Monate oder gar etliche Jahre in Anspruch. Immer waren seine Ideen zielführend.

So geschehen auch bei der Herberge zur Pinte in Grosswangen.

 

Damals führte Kurmann Walter die Herberge. Seit Generationen war die Pinte in Familienbesitz.

 

Walti war ein sehr arbeitsamer Wirt. Sein Wahlspruch lautete: dies Lokal heisst Wirtschaft, weil hier der Wirt schafft. Und so war es.

 

Schon in der Früh stand er auf, bereitete seinen Gästen das Frühstück, reinigte die Schenke ( also : Besenrein. Das war für die damalige Zeit üblich; denn die Gäste betraten die Gaststätte mit allerlei Dreck an den Schuhen)

 

Bald sah man ihn am Herd, wo er die Vorbereitungen für das Mittagessen traf. Walti war weitherum berühmt für seine Suppen, welche er mit viel Können und Fleiss anzusetzen pflegte.

 

Walti war ein genügsamer und gutgläubiger Kerl. Jeder Gast war ihm willkommen. Nie hörte man von ihm ein böses Wort. Selbst mit Zechprellern war er stets geduldig. Meist konnte er sein Geld zu einem späteren Zeitpunkt einfordern. Manchmal aber nicht, was ihm nur ein müdes Lächeln entlockte.

 

Nebst der Schenke bot die Pinte auch Gelegenheit für die Übernachtung. In der eigenen Stallung konnte Pferd und Fuhrwerk eingestellt werden. Die Zimmer für die Reisenden waren bescheiden und zweckmässig.

 

Seine Frau, die Gertrude, war für die Gästezimmer zuständig. Sie putzte und reinigte, sie wusch den gesamten Kram. Daneben war sie eine fürsorgliche Mutter.

 

Es war in einer Regennacht, als zu später Stunde ein gewisser Herr Zwygart aus dem Gäu in die Gaststube eintrat. Er hatte von der Pinte gehört, Reisender sei er und handle mit allerhand Zeug. Er suche ein Zimmer für die Nacht.

 

Ohne zu zögern bereitete man ihm alles vor, das Pferd und der Wagen wurden in der Scheune untergebracht, das Bett wurde gerichtet, ein Nachtessen zubereitet. Zwygart wurde rundum versorgt.

 

Doch mitten in der Nacht hörte Gertrude Geräusche. Sie weckte ihren Mann, worauf dieser sich, dürftig bekleidet, in die Gaststube begab. Dort traf er dann auf Zwygart und zwei seiner Gesellen, welche dieser durch ein Fenster hereingelassen hatte.

 

Die drei Schurken forderten Geld. Leider hatte Walti kein Geld. Die spärlichen Tageseinnahmen genügten den Gaunern nicht. Also stachen die drei unvermittelt auf Walti ein.

 

So kam der gutmütige Walti zu Tode.

 

Frau und Kinder standen somit alleine da. Und wie es damals üblich war, wurde der Waisenvogt vorgeladen. Denn die Frau konnte und durfte nicht mit Geld umgehen. So war das Gesetz.

 

Bald war Schwegler mitsamt einem Schreiber in der Pinte. Es wurde Inventur gemacht. Alles wurde feinsäuberlich aufgenommen und ein ordentliches Protokoll erstellt. Soweit – so gut.

 

Fortan sah man Schwegler fast täglich in der Pinte. Er führte sich als fürsorglicher Verwalter auf. Stets sah er zum Rechten. Wobei er nicht selten einen Halbliter bestellte (jedoch nie bezahlte …)

 

Viele Jahre zogen ins Land, bis Peter Kurmann, der einzige Sohn von Walti, sein Erbe antreten konnte.

 

Die Familie Kurmann ging nun davon aus, dass man die Pinte zurückerhalten und weiterführen konnte. Aber da hatten sie die Rechnung ohne den Schwegler gemacht.

 

Schwegler präsentierte eine umfassende Abrechnung. Seine Buchführung über all die Jahre hatte Unsummen verschlungen. Dazu wurden allerlei Spesen, Verwaltungsaufwand und andere Kosten aufgeführt.

 

Also führte die Familie Kurmann die Pinte weiter. Man liess sich nichts zu Schulden kommen. Pünktlich kam man allen Forderungen nach. Pacht und Zinsen für Schwegler verschlangen Unsummen; so dass zum Leben kaum noch etwas übrig blieb. „Ned zom Läbe – ond ned zom Stärbe“ pflegte man zu sagen.

 

 

Schwegler hingegen war das gleichgültig. Vielmehr war er stolz, sein Reichtum ein weiteres Mal gemehrt zu haben. Ned wohr – ned …