Die Sage der 12 ...

 

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Der Enziwald gehörte einmal einem Wybervöuchli ( Fraueli). Die Willisauer sind dann zu ihm gegangen und haben mit ihm einen Vertrag abgeschlossen. Da das Fraueli nicht alleine unterschreiben konnte ( oder wollte … ), haben sie ihm die Hand genommen und unterschrieben.

Nachher sah man das Enzitier. Es soll sich um den Geist desjenigen gehandelt haben, der mit der Hand des Frauelis unterschrieben hatte.

 

( Zihlmann Josef / „Seppi a de Wegere“ // mdl. Von Frau R. , Hergiswil anno 1966 )

 

 

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Der Stadtbrand war für die Bevölkerung von Willisau eine totale Katastrophe! Alles, was man sein Eigen nennen durfte, steckte in den Häusern und wurde jetzt ein Raub der Flammen. Somit stand man tatsächlich vor dem Nichts! Zu dieser Zeit gab es natürlich weder Versicherungen noch wohltätige Vereine, die bei einem solchen Ereignis geholfen hätten. Also folgte ein Unglück dem anderen. Die Menschen waren völlig verwahrlost. Im harten Winter erfroren sie. Viele verhungerten, weil sie keine Vorräte mehr hatten. So herrschte weit herum ein unbeschreibliches Elend.

 

In diesen Tagen war guter Rat teuer. Irgendwie sollte ja die Stadt wieder aufgebaut werden. Aus den Trümmern ragte mahnend die Kirche, welche wie durch ein Wunder die Feuersbrunst überstanden hatte.

 

Auch die Grundmauern des Rathauses standen noch, da dieses Gebäude das einzige im Städtchen war, das Steinmauern hatte. Aber auch das Innere des Regierungssitzes war eine Holzkonstruktion und somit völlig zerstört.

 

Der Stadtbaumeister war nun derjenige, der den Aufbau vorantrieb.

Eigentlich wunderten sich ja viele Leute, woher er plötzlich das viele Kapital her hatte. Doch in dieser Not stellte man keine Fragen. …

 

Die Aufräum-Arbeiten kamen gut voran. Nun ging es darum, die Gebäude wieder zu erstellen. Es fehlte in erster Linie an Holz; zu dieser Zeit das wichtigste ( aber unerschwinglich teure …)  Baumaterial.

 

Im Frühling erreichte die Willisauer die Botschaft des Schultheiss, dass die Stadt Willisau wieder zu errichten sei. In erster Linie müsse das Rathaus erstellt werden, damit man wieder regieren könne. Auch die Errichtung der Stadtbefestigung mit Unter- und Obertor dulde keinen weiteren Aufschub.

 

Doch woher wollte man so viel Holz besorgen ? Diese Frage plagte die Stadtregierung.

 

In so schwierigen Tagen kommen manchmal Figuren zum Vorschein, welche in normalen Zeiten eher im Verborgenen bleiben.

 

Da gab es einen sonderbaren, frechen Frotzlöffel; einen durchtriebenen Kerl. Man nannte ihn Geri. Er wuchs in bescheidensten Verhältnissen auf. Der Vater war verschollen. Die Mutter war ein bekanntes Wöschwyb. Er selber hatte das Arbeiten nicht erfunden … Am liebsten trieb er sich im Lustgarten herum. Oft spielte er mit den Landsknechten beim karnöffeln mit. Wobei er immer dann gewann, wenn der Einsatz am höchsten war. Vielleicht hatte er hin und wieder seinem Glück etwas nachgeholfen …

 

Und so ergab es sich, dass der Stadtpräsident Barth sich eines Tages zu den Burschen im Lustgarten hinsetzte und zu lamentieren begann. Umso erstaunlicher war es, dass dieser junge Geri auf alles eine Antwort wusste.

 

Urplötzlich machte es den Anschein, es sei alles ganz einfach. Geri erzählte von einem „Fraueli“, welches unterhalb des Napf’s hause. Zu ihrer Liegenschaft Chruttose gehöre der Enziwald; eine riesige Waldfläche ! Da gäbe es Holz in Hülle und Fülle …

 

Und – oh Wunder – er hatte auch bereits einen Plan, wie man das Landgut anektieren könnte.

 

Tags darauf marschierte man los mit einer eigenartigen Delegation. Neben Barth marschierten Stadtschreiber Renwart Cyssat, der Sechser Leonz Petermann (genannt Lonzi) der Obermann Amrein und der Landjäger Schwägler, verstärkt mit drei Karnöffeln in voller Kriegsmontur.

 

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Die alte Frau beobachtete den merkwürdigen Tross. Sie ahnte nichts Gutes. Doch was sollte sie auch machen ? Sie flüchtete sich in die Küche und machte sich am Herd zu schaffen.

 

Die unerschrockenen Mannen betraten das Haus ohne ein Wort des Grusses. Sie schubsten das alte Fraueli zum Tisch. « Hock ane » murrte einer und schob den Hocker zurecht.

 

Der Stadtschreiber hatte einen Vertrag vorbereitet, welchen er jetzt aus seiner Tasche hervorklaubte. Eilends rollte er das Pergament auf dem Tisch aus. Er schnaubte sie an : «  Do muesch es Kreuzle mache»

 

Die starken Männer hatten geglaubt, dass die Alte weder lesen noch schreiben könne. Doch zu ihrem entsetzen fing sie an, laut vorzulesen. Jetzt wurde allen Angst und Bang. Schlagartig war jedem klar, was da vor sich ging ! « Fertig jetz » schnauzte Barth und befahl den Landsknechten, der Frau das Maul zu stopfen.

 

Stadtschreiber Cyssat ergriff die Hand der Alten, steckte ihr die Feder zwischen den Fingern durch und unterschrieb das Dokument. Eilends wurde noch der rote Siegellack darauf geschmiert und mit dem Siegelring gezeichnet. Als Entgelt knallte Barth einen Geldseckel mit Silbermünzen auf den Tisch. Somit war der Handel perfekt. Und weg waren sie.

 

In dieser Gegend trieb sich ein Trottel herum. Sie nannten ihn Büebi. Er hatte die ganze Szenerie beobachtet. Nun rannte er zu den Nachbarn. Doch der Häller von der Gmeinalp lachte ihn nur aus. Er werde morgen dann mal vorbeigehen und nach dem Rechten schauen ... 

 

Darauf rannte Büebi noch hinüber zur Grausschwände. Doch auch hier war nicht mit Unterstützung zu rechnen. Also eilte er wieder hinüber zur alten Frau.

 

Doch , oh Wunder, als er sich der Chruttose näherte, sah er einen eigenartigen Mönch bei der Frau. Beide hockten auf der Bank vor dem Haus. Die Alte weinte und wehklagte, welch übles Schicksal ihr widerfahren sei.

 

Büebi war zwar ein unbelehrbarer Trottel. Doch in diesem Augenblick erkannte er, dass die Alte den Geldseckel dem Wanderprediger überlassen wollte. Also schlich er ins Haus, schnappte sich den Geldbeutel und verschwand durchs Küchenfenster. Mit dem vielen Geld machte er sich aus dem Staub und galt fortan als verschollen.

 

Tags darauf kam Häller, wie angekündigt, bei der Chruttose vorbei. Er traf das Fraueli in seinem heulenden Elend. Ohne Worte zu verlieren ging er hinüber in den Stall. Er griff sich die beiden Kühe und führte sie, mit einem hämischen Grinsen, zu sich hinunter auf die Gmeinalp.

 

Der Grau ( der Bauer von der Grausschwände) hatte keine Zeit für solche Angelegenheiten. Tag und Nacht war er damit beschäftigt, die Marchsteine zu versetzen und sich somit seinen Anteil zu sichern.

 

Gibt es ein Recht ? Gibt es Gerechtigkeit ? In diesen Tagen wohl kaum.

 

Doch keiner der Missetäter wurde verschont.

 

Bei einem nächtlichen Raubzug, man nennt das „Wildern“ erschlug Häller den Grau mit seiner Steinschleuder.

 

Häller selber, der sich nach dem Tod der Alten auch noch deren Haus und Hof eingesackt hatte, wurde von immer stärkeren Gichtschüben geplagt. Als er es schliesslich nicht mehr aushielt, erhängte er sich.

 

Die Flucht von Büebi dauerte nur kurz. Sein Geld war er bald los; er konnte es ja nicht einmal zählen … Völlig verwahrlost und verlaust sah man ihn beim Siechenhaus. Als er bald darauf starb, verscharrte man seine sterblichen Überreste hinter dem Haus.

 

Stadtpräsident Barth baute die Stadt wieder auf. Doch der junge Geri – man gab ihm den Rufnamen „de Schwarz“ – hat ihn erpresst. Immer verrückter wurden seine Forderungen. Eines Tages stürzte dann Barth vom Dach des Rathauses. Manche glaubten dann, er sei bei einer Baubesichtigung ums Leben gekommen …

 

 

 

Der Stadtschreiber, der den denkwürdigen Vertrag geschrieben hatte, konnte seit diesem Tag nicht mehr schlafen. Er wurde von Tag zu Tag bleicher. Seine hagere Gestalt wurde zusehends schwächlicher. Kaum einen Monat später starb er. Sein Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen.

 

Ganz im Gegensatz zum Schwarz : Er war überall gern gesehen. Er trieb sich in Herrenhäusern, Palästen und Königshöfen herum. Überall lauschte man seinen Ratschlägen. Im hohen Alter kam er nach Willisau zurück, wo er von allen gefeiert wurde wie ein Held. Sein unermesslicher Reichtum umgab ihn wie eine Aura des Unverwundbaren. Doch wie wir alle wissen: Das letzte Hemd, das hat keine Taschen. So musste auch er, wie jeder andere Sterbliche auch, mit leeren Händen hinüber ins Jenseits. Einen Pfarrer wollte er in dieser schweren Stunde des Abschieds nicht sehen. Doch diejenigen, die das Geschehen beobachten konnten, erzählten später Geschichten, die einem die Haare zu Berge stehen liessen. Alle waren sich einig, dass wohl kaum jemand einen solchen Todeskampf gesehen hätte.

 

Den Lonzi erreichte ein ganz anderes Schicksal. War er früher etwas knauserig, so wurde er fortan krank vor Geiz. Vor lauter Angst, er könnte einen Groschen zu viel ausgeben, lebte er von nun an völlig zurückgezogen in seinen eigenen vier Wänden. Das war sein Gefängnis. Irgendwann verstarb er und es dauerte Wochen, bis jemand seine Leiche fand. Die Ratten hatten ihn schon übel hergerichtet …

 

Die Landjäger Schwägler und Amrein gerieten aneinander. Beide stellten sie gleichzeitig einer jungen Frau nach. Sie beschlossen, sich mit dem Schwert zu duellieren, um die Sache auszumachen. Nach ihrem erbitterten Kampf hatten sie sich gegenseitig so schwere Verletzungen zugeführt, dass beide starben.

 

Und die Geschichte der drei Karnöffel, de „Chnorzi“ , de „Chromm“ und dem Spielmandli Ueli Schröter, die wird in einer eigenen Sage beschrieben.

 

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Es dauerte Jahre, bis das Städtchen Willisau wieder aufgebaut war. Endlich hatte man wieder ein ordentliches Dach über dem Kopf. Doch ein normales Leben gab es noch nicht ! Vor allem Nachts waren die Ruhestörungen der Geister, die da ihr Unwesen trieben, schier unerträglich. So musste man einen Guardian kommen lassen, der sich der Angelegenheit annehmen musste. Geduldig lauschte er den Geschichten, die die Leute ihm erzählten. Nach und nach gelang es ihm, die Geister einzufangen und in einem Truckli ( ein eigenartiges Behältnis ) einzufangen. Es vergingen Tage und Wochen, bis allmählich Ruhe einkehrte.

 

Man erzählt sich, dass der Guardian dann all seine Truckli einem Eselshengst auf den Rücken gebunden und zusammen mit einem Messdiener bis hinauf in die Stächelegg gezogen sei. Bei einem geheimnisvollen Zeremoniell mit Weihrauch und allerlei Gefasel habe der Mönch den Hengst mitsamt seiner Fracht über die grausigen Klippen gestossen.

 

 

So wurden die Geister im Enziloch gebannt und sind wohl heute noch dort.